Mit Sinn und Achtsamkeit zum Erfolg
Im Gespräch: Corinna Kohfink
Business Coach Corinna Kohfink macht Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter fit in den Bereichen Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung. Zum Angebot der Diplom-Ökonomin zählen dabei Führungskräfte-, Mitarbeiter- und Unternehmercoachings, systemische Unternehmensberatung und die Durchführung von Trainingsmaßnahmen. Im Interview mit „Wirtschaft & Ethik“ erklärt die Expertin, welche Wettbewerbsvorteile sich Unternehmen eröffnen, wenn sie sich dazu entschließen, sich um ihren Sinn zu kümmern.
Wirtschaft & Ethik: Aktuell stehen viele Unternehmen vor dem Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Haben Unternehmen, die Sinn stiften, in diesem Punkt weniger Schwierigkeiten?
Corinna Kohfink: Aus meiner Erfahrung lautet die Antwort ganz klar: Ja. Alle Tätigkeiten kann man mit unterschiedlichem Fokus machen. Für mich ist es tatsächlich der Fokus „Sinn schaffen“, der alles zusammenbindet. Warum? Weil es in unserer heutigen Zeit, in der die Grundbedürfnisse und auch viele Luxuswünsche erfüllt sind, dem menschlichen Wesen entgegenkommt, Sinn zu suchen und zu finden. Ich kenne tatsächlich Unternehmen, die haben überhaupt keine Mühe, Fachkräfte zu finden, obwohl sie in einer Branche tätig sind, in der eigentlich der Wettbewerb um die Talente tobt. Sie haben einen klaren Wettbewerbsvorteil, weil sie sich mit ihrem Sinn beschäftigen.
Bevor wir über das „Wie“ sprechen, sollten wir klären, „Was“ für ein Sinn in Unternehmen zu finden sein soll. Was verstehen Sie darunter, dass Unternehmen einen Sinn schaffen?
Die Dienstleistung oder das Produkt selbst kann bereits einen Sinn in sich tragen. Wenn es mir gelingt, meinen Mitarbeitern aufzuzeigen, welchen besonderen Nutzen ein bestimmtes Produkt beim Kunden stiftet, und wenn ich dadurch Emotionen wie Stolz oder Leidenschaft wecken kann, dann ergibt sich der Sinn von allein. Das funktioniert allerdings nicht immer: Wenn ich mit meinem Unternehmen eine Leistung erbringe, die mich wenig von anderen unterscheidet, dann muss ich schon etwas tiefer buddeln und mir genau anschauen, welchen Prinzipien ich mit meinem Team auf diesem Weg folge. Dann ergibt sich der Sinn vielleicht daraus, dass wir nachhaltiger als andere produzieren, besser ausbilden, intensiver auf Kundenwünsche eingehen oder mit besserer Qualität fertigen. Dann sind es andere Kriterien, die uns einzigartig machen und unserem Tun einen Sinn geben.
Also hat der Porsche 911er den Sinn bereits eingebaut?
Unter Umständen ja. Wenn ich es schaffe, eine mitreißende Story zu entwickeln, die erklärt, was für ein tolles Auto der 911er ist, und wenn es mir gelingt, Stolz bei den Mitarbeitern zu erzeugen, daran mitbauen zu dürfen, dann kann darin schon Sinn bestehen. Es hängt viel davon ab, wie im Unternehmen gesprochen und wie das Produkt von den Mitarbeitern gesehen wird. Wenn ich Mitarbeiter habe, die alle sagen: „Na ja, ich kann mir dieses Auto sowieso nicht leisten und es ist außerdem ökologisch nicht zu verantworten“, dann tue ich mich natürlich schwer, einen Sinn zu stiften. Es braucht schone eine gewisse Komplexität, das Produkt und auch das Unternehmensziel so darzustellen, dass es nicht mit anderen Werten in Konflikt tritt.
In einem Ihrer Vorträge sprechen Sie darüber, was die Besten anders als die Guten machen. Worum geht es da?
Ich habe mich intensiv mit zwei unterschiedlichen Studien beschäftigt. Die eine stammt von dem US-amerikanischen Managementexperten Jim Collins. Collins betrachtet Unternehmen, deren Aktienentwicklung die durchschnittliche Entwicklung der Branche um ein Mehrfaches übersteigt, und fragt sich: „Was machen die anders?“ Er schaut also ganz klar durch die Brille des finanziellen Erfolgs. Die zweite Studie des belgischen Unternehmensberaters Frédéric Laloux beschreibt Unternehmen, die eine komplett andere Arbeitsmethodik haben im Hinblick auf Menschlichkeit und im Hinblick auf neue Organisationsformen, bei denen es nicht vordergründig um Ökonomie geht. Stattdessen dreht sich hier alles um den Sinn. Beide Autoren gehen also mit einer vollkommenen unterschiedlichen Betrachtungsweise an ihre Studien heran. Faszinierend ist, dass sie trotz des Blicks durch völlig unterschiedliche Brillen zu verblüffend ähnlichen Ergebnissen kamen, was ein erfolgreiches Unternehmen ausmacht.
Ich würde vermuten, die wirtschaftlich erfolgreichsten Unternehmen kümmern sich weniger um die Sinnstiftung…
Nein, gar nicht. Es ist genau umgekehrt: Die Unternehmen, die die herausragendsten wirtschaftlichen Erfolge erzielt haben, haben dies gerade dadurch geschafft, dass sie ihrem Sinn gefolgt sind. Sie haben sich nämlich die Frage gestellt: „Worin sind wir so gut, dass wir die Besten werden können, und was begeistert uns aus vollster Seele?“
Sie sprechen in Ihrem Vortrag auch von der Kultur der Disziplin. Für mich klingt das sehr hierarchisch. Wo ist denn da der Sinn vergraben?
Kultur der Disziplin heißt, dass ich mich mit aller Kraft, mit aller Energie dem zuwende, was ich im Unternehmen erreichen will. Dass ich jederzeit weiß: Das ist unsere Vision, da wollen wir hin. Das ist unsere Mission, deswegen arbeiten wir, das wollen wir für die Menschheit tun. Die Kultur der Disziplin hat an sich nichts mit der Hierarchie zu tun. Ich kann auch in einer vollkommen hierarchielosen Organisation sehr diszipliniert arbeiten. Es bedeutet Fokussierung, es bedeutet Klarheit und es bedeutet Bewusstheit, dass wir alle, die wir in der Organisation arbeiten, unsere Ressourcen so einsetzen, dass es unserer Sache am besten dient. Eine Kultur der Disziplin hat nur dann was mit einer hierarchischen oder bürokratischen Organisation zu tun, wenn sie einhergeht mit einem niedrigen Unternehmergeist.
Welche modernen Managementansätze sind Ihrer Meinung nach zielführend?
Für mich sind es die Managementansätze der evolutionären Unternehmen und des positive Leadership. Evolutionäre oder auch „befreite“ Unternehmen setzen auf Sinnorientierung, Selbstführung und Ganzheitlichkeit. Ich darf dort als Mensch zur Arbeit erscheinen und muss nicht erst meine Business-Maske aufsetzen. Positive Leadership bedeutet, so zu führen, dass ich vorhandene Stärken fördere und sich neue Stärken entwickeln können. Die Eliminierung von Schwächen verliert dadurch an Gewicht.
Kommen wir zu den Mitarbeitern zurück. Ist es nicht ein Irrglaube, dass in allen Mitarbeitern unendlich viel Motivation steckt?
Ein Manager in einem Maschinenbauunternehmen mit 50 Leuten hat einmal Folgendes zu mir gesagt: „Unsere Mitarbeiter sind privat Familienväter und -mütter, Häuslebauer, Vereinsvorstände und ehrenamtlich Tätige. Privat können die doch alles und sind zudem hochmotiviert. Wenn sie das privat können, wieso können und dürfen sie das dann nicht auch in der Firma? Wieso sollten sie im Unternehmen nicht motiviert sein?“ Dieses Unternehmen hat sämtliche Hierarchien abgeschafft. Außer der Geschäftsleitung gibt es nur noch Gleichgestellte. Das führt letztlich dazu, dass sich jeder seine Rolle selbst sucht. Solche realen Geschichten finde ich sehr faszinierend. Zurück zu Ihrer Frage: Jeder Mensch trägt Motivation in sich. Sie braucht nur eine Chance, sich entfalten zu dürfen.
Wenn ich also feststelle, dass meine Buchhalterin, die mit Kunden telefoniert, die vielleicht im Zahlungsverzug sind, am Ende des Tages Aufträge verkauft, dann ist sie also unter Umständen die bessere Verkäuferin?
Ja, genau. Also dieses „erst wer, dann was“ ist etwas sehr Zentrales: Zunächst einmal zu schauen, wen man im Unternehmen haben will, und dann erst – gemeinsam mit dem Mitarbeiter – zu entscheiden, was er dort tun könnte. Es gilt, eher in Rollen zu denken als in Stellen, so dass jeder seine Stärken in den Dienst des Unternehmens stellen darf. Es gibt – sowohl für das Unternehmen als auch für den Mitarbeiter – nichts Schlimmeres als die Verschwendung von Fähigkeiten.
Jetzt habe ich im Unternehmen „Sinn gestiftet“. Ist das Risiko, Burnout zu bekommen, wenn Mitarbeiter hochmotiviert sind und Samstag um 17 Uhr immer noch E-Mails beantworten, nicht um ein Wesentliches höher?
Die Gefahr, einen Burnout zu bekommen, wenn die Arbeit Spaß macht und wenn sie Begeisterung schafft, ist viel geringer. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es immer falsch ist, wenn ein Mitarbeiter samstags um 17 Uhr noch E-Mails beantwortet. Vielleicht ist es ja auch jetzt gerade gut für ihn. Das steckt ganz stark im eigenen Empfinden und der Beantwortung der Frage: Womit fühle ich mich noch wohl? Natürlich ist nur der Unternehmer ein guter Sinnstifter, der auch achtsam mit seinen Mitarbeitern umgeht, der sensible Antennen dafür hat, ob ein gesundes Gleichgewicht herrscht oder ein Kollege übers Ziel hinausschießt. Führung findet auch in sinnorientierten Unternehmen statt, nur eben durch eine andere Brille.
Gehen die Krankheitstage in Unternehmen, die diesen Weg einschlagen, zurück?
Es gibt empirische Erfahrungsberichte, die belegen, dass die Krankheitstage der Mitarbeiter, die glücklich sind, weil ihnen klar ist, welchem Weg das Unternehmen folgt und warum ihr Engagement gebraucht wird, tatsächlich zurückgehen. Eine Studie einer Schweizer Hochschule, die 2.500 Deutsche befragt hat, zeigt, dass es zwei Fehltage pro Jahr und Mitarbeiter weniger gibt, wenn sich der Chef Zeit nimmt, wenn er seine Mitarbeiter lobt, eigene Fehler zugibt und auf Ideen eingeht. Bei Volkswagen hat es ein Experiment gegeben, bei dem Führungskräfte aus Bereichen mit einem hohen Krankenstand in Bereiche mit einem niedrigen Krankenstand wechselten und umgekehrt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Führungskräfte ihren Krankenstand mitnehmen. Es handelt sich hierbei zwar nicht um eine wissenschaftlich fundierte Studie, sondern eher um ein Experiment – aber um ein hochinteressantes, wie ich finde. Andere Unternehmen sind diesem Beispiel gefolgt – mit ähnlichen Erfahrungen. Die Art zu führen, hat also ganz offensichtlich Einfluss auf die Zahl der Krankheitstage.
Braucht der Manager von heute also ein Wissen, das er vor 20 Jahren in dieser Form nicht benötigte, um ein Unternehmen erfolgreich aufzustellen?
Ich brauche heute als Manager immer mehr Achtsamkeit für die Mitarbeiter – schon allein deswegen, weil unsere Welt komplexer wird, weil sie anspruchsvoller wird, weil sie schneller wird. Ich kann ja im oben geschilderten Fall in den Dialog gehen mit dem Mitarbeiter: „Hey ich habe jetzt festgestellt deine Mails kommen standardmäßig abends um 23 Uhr oder Samstag nachmittags. Wie sieht es denn aus mit Freizeit, achtest du noch genügend auf dich, müssen wir irgendwas ändern, ist da eventuell eine mengenmäßige Überforderung?“ Immer wieder mit hoher Achtsamkeit in Gespräche zu gehen, bleibt sicherlich in den modernen Organisationen keiner Führungskraft erspart. Eine zielgerichtete, klare und umfassende Kommunikation ist heute wichtiger denn je.
Wie kann denn ein Unternehmen so einen Geist Schritt für Schritt implementieren? Können Sie unseren Lesern ein paar Tipps geben?
Der allererste Schritt besteht darin, sich überhaupt erst einmal die Sinnfrage zu stellen. Also: Was ist eigentlich der Sinn unseres Unternehmens? Diese Sinnfrage muss an alle Mitarbeiter gestellt werden – wie spielt erst einmal keine Rolle. Ob ich einen Workshop mache, ob ich eine E-Mail schreibe oder ob ich selbst als Unternehmer mit meinen Führungskräften und mit einer Mitarbeiterdelegation über das Thema nachdenke, sei völlig dahingestellt. Wichtig ist, dass die Frage überhaupt mal da ist. Was ist denn der Sinn unseres Unternehmens? Und ja, es kann sein, dass die Beantwortung dieser Frage eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Wenn ich den Sinn kenne, dann gehe ich den nächsten Schritt: „Was ist unsere Vision? Wo wollen wir zum Beispiel im Jahr 2030 stehen, was wollen wir erreichen? Was brauchen wir denn für Produkte und Leistungen dafür? Was brauchen wir an externen Netzwerkpartnern, um diesem Sinn zu folgen?“ Manchmal entstehen dann sogar sehr ungewöhnliche Wege. Ich kenne ein mittelständisches Maschinenbau-Unternehmen, das sich entschieden hat, zusätzlich zum etablierten Geschäft mit ökologisch und nachhaltig produziertem Kaffee persönlich bekannter Bauern aus Afrika zu handeln. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Also gilt es, im ersten Schritt den Sinn zu entwickeln, um dann im zweiten Schritt an diesen Sinn ganz vorsichtig Handlungen anzudocken, ohne dabei alle zu überfordern. Ist dies ein langwieriger Prozess?
Das ist ein Prozess über die komplette Lebensdauer eines Unternehmens. Genau dadurch verliert er aber auch seinen Schrecken. Es ist eine sanfte, kontinuierliche Entwicklung, die nie endet und sich immer wieder wandelt, kein aus dem Boden gestampftes, schmerzhaftes Change-Projekt auf Biegen und Brechen. Es ist wie beim Fahrradfahren: In jeder Sekunde entscheiden wir neu, in welche Richtung wir den Lenker einschlagen. Wichtig ist nur, das Ziel zu kennen und unterwegs die Agilität und Flexibilität an den Tag zu legen, die es braucht, um gesund am Ziel anzukommen. Wenn die Unternehmen das einmal verinnerlicht haben, kommen sie wunderbar damit zurecht. Begleitung braucht es nur ganz am Anfang, bis sich das neue Denken und andere Formen des Handelns nachhaltig gebildet haben.
Vielen Dank für das interessante Gespräch zu einem sehr wichtigen Thema, das in vielen Aspekten das Thema Nachhaltigkeit anspricht.
Das Gespräch führte Jürgen Linsenmaier
Mit Sinn und Achtsamkeit zum Erfolg | Corinna Kohfink