Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) tragen einen großen Teil zur deutschen Wirtschaftsleistung bei. Sie stellen eine hohe Anzahl an Arbeitsplätzen und stehen in der Verantwortung, diese auch in der Zukunft zu erhalten – trotz des digitalen Wandels.

Dr. Harald Balzer | CONCEPT AG
Digitalisierung kostet Geld, und zwar jeden.
Dr. Harald Balzer Vorsitzender des Vorstandes der CONCEPT AG

Obwohl die Wirtschaftskraft und die Anzahl der Beschäftigten es vermuten lassen könnten, kann kein direkter Vergleich zwischen Großunternehmen und KMU gezogen werden – zu groß sind die monetären Differenzen. Eines ist jedoch Fakt: Digitalisierung kostet Geld, und zwar jeden. Um Missverständnissen bezüglich der Begrifflichkeiten vorzubeugen, muss zunächst geklärt werden, was mit Digitalisierung gemeint ist, denn: Digitalisierung ist ungleich der digitalen Transformation. Die Grundvoraussetzung für die Digitalisierung ist die Vernetzung von Maschinen, Menschen, Geräten, Häuser usw.

Die Digitalisierung umfasst die Unterstützung bereits bestehender Prozesse, Vorgänge und Aktivitäten z. B. eines Unternehmens durch Informations- und Kommunikationstechnologien. Sie bildet wiederum die technische Grundvoraussetzung für die digitale Transformation. Im Rahmen der digitalen Transformation tragen Technologien wie Cloud-Computing, Internet of Things oder Big Data-Analysen dazu bei, dass sich die Wertschöpfung eines Unternehmens radikal verändert.

Die Digitalisierung bildet die technische Grundvoraussetzung für die digitale Transformation.

Das Mittelstandspanel des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) vom ersten Quartal 2016 zeigt die aktuelle Situation bezüglich der Digitalisierungsvorhaben in den deutschen KMU. Im Rahmen der Umfrage bezeichneten sich lediglich drei von zehn Unternehmen selbst als hochgradig digitalisiert. Ein digitalisierter Produktionsbereich bzw. Shopfloor ist nur bei jedem fünften Unternehmen zu finden. Die meisten der Firmen mit einem digitalen Shopfloor sind stark auf den Export ausgerichtet.

Unsere empirischen Erfahrungen decken sich mit den Aussagen des Mittelstandspanels. Die IT-Infrastruktur und -Systemlandschaft der KMU ist historisch gewachsen. Ein funktionales ERP-System ist in der Regel bei allen KMU vorzufinden, auch wenn dieses meist schon in die Jahre
gekommen ist. Bei manchen KMU sind im Laufe der Zeit zusätzliche Applikationen wie BDE-/MDE-, Werkzeugverwaltungs-, Qualitätssicherungs-, Leitstands-, Wartungs- oder MES-Systeme hinzugekommen. Erfahrungsgemäß ist die Anbindung weiterer Systeme an das ERP-System immer mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Mit steigendem Grad der Digitalisierung steigt auch die Anforderung an die Systeme wie ERP und Co. Das heißt, dass auf einen Großteil der KMU erhebliche Investitionen in Soft- und Hardware zukommen.

Den Kulturwandel gestalten

Die BDI-Studie zeigt, dass die KMU kräftig in die Digitalisierung investieren müssen. Dabei gilt es jedoch, die Gießkanne im Schuppen zu lassen, Ängste vor neue Technologien wie dem Cloud-Computing abzulegen und Digitalisierung zur Chefsache zu machen. Bei der digitalen Strategie ist ein punktuelles Vorgehen empfehlenswert, um die monetäre Belastung für das Unternehmen sowie die Belastung der Mitarbeiter überschaubar zu halten.

Digitalisierung erfordert zusätzlich die Einleitung eines Kulturwandels im Unternehmen. Dabei muss der Generationenkonflikt überwunden werden, um alle im Unternehmen angestellten Mitarbeiter abzuholen und auf die neue Situation einzustellen. Dieser Vorgang kann nicht auf einen Ruck umgesetzt werden: Kultur muss Tag für Tag im Unternehmen gelebt werden, um sie zu verinnerlichen.

Die Transparenz des Digitalisierungsprogramms gehört zu den Basics, um die Mitarbeiter aktiv in den Prozess einzubinden. Dabei muss der Stand der Organisation offen kommuniziert werden. Gleiches gilt für die Frage, wo, wann und vor allem wie die Umsetzungen im Unternehmen erfolgen werden: Wie werden die Mitarbeiter in dem betroffenen Bereich unterstützt? Wie und in welchem Umfang werden Mitarbeiterschulungen und Abstimmungsrunden stattfinden? All diese Fragen müssen durch das Führungspersonal beantwortet werden, was mit zum Teil fünf Generationen an Mitarbeitern (Traditionals, Baby Boomer, Generation X, Generation Y und Digital Natives) kein leichtes Unterfangen ist. Das Ziel muss es sein, durch Schulungen und Weiterbildungen die Mitarbeiter fit für die digitalen Prozesse zu machen und gleichzeitig eine attraktive digitale Arbeitsumgebung zu schaffen. Nur bei Erreichung dieses Ziels kann das Unterfangen Digitalisierung erfolgreich gemeistert werden.

Diese Prozesse mit dem Kunden zu durchlaufen, gehört für uns als Berater zum Daily Business. Schulungen und Wandlungsprozesse in Unternehmen verursachen verständlicherweise Reibung: Mitarbeiter müssen ihre Komfortzone verlassen und über Jahre angeeignete Routinen aufgeben. Des Weiteren wird von ihnen verlangt, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Für manche Angestellten bedeutet die Umstellung eine riesige Herausforderung, was mitunter dazu führt, dass einige Mitarbeiter in komplette Resignation verfallen.

Das Human Capital, der Mitarbeiter selbst, wird im Zeitalter des digitalen Wandels zum größten und wichtigsten Gut im Unternehmen. Firmen werden nur mit und insbesondere durch ihre Mitarbeiter wachsen können. Wie der digitale Wandel eines Unternehmens im Einzelnen aussehen kann bzw. sollte, ist der nachfolgenden Abbildung zu entnehmen.

Der erste Ansatzpunkt, um die Digitalisierung im Unternehmen einzuleiten, muss der Shopfloor sein, da hier das Geld verdient wird – oder eben nicht. Der Rohertrag bzw. der Deckungsbeitrag des Unternehmens steht direkt in Zusammenhang mit der Ausbringungsmenge, die wiederum abhängig ist von der Produktivität der Mitarbeiter, des Nutzungsgrades und der OEE der Maschinen und Anlagen auf dem Shopfloor. Unser Credo für den Shopfloor lautet: „Die richtigen Daten zum richtigen Zeitpunkt jederzeit verfügbar und aktuell als Basis für effizientes Shopfloor-Management“. Über 500 Projekte im Mittelstand haben gezeigt, dass sich durch die Steigerung der Produktivität um nur 20 Prozent das Ergebnis häufig verdoppeln lässt.

Die größte Herausforderung auf dem Shopfloor ist es, belastbare Zahlen, Daten und Fakten verfügbar zu machen, um Transparenz am Ort des Geschehens zu schaffen. Dabei ist es wichtig, auf eine gute und leichtverständliche Visualisierung der ermittelten Parameter zu setzen. Die Mitarbeiter müssen lernen, mit den Daten zu arbeiten. Dazu bedarf es eines effizienten Shopfloor-Managements, das auf den vier Grundpfeilern „Vor Ort führen“, „Abweichungen erkennen“, „Probleme nachhaltig lösen“ und „Ressourceneinsatz optimieren“ basiert. Bei einer Verschlechterung oder fallenden Werten von Produktivität, Nutzungsgrad oder OEE müssen sofort Entscheidungen getroffen und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Diese Maßnahmen müssen für die Mitarbeiter vor Ort nachvollziehbar sein, um eine kontinuierliche Verbesserung des Prozesses herbeizuführen.

Wo werden wichtige Prozentpunkte der Ausbringung verloren und warum werden diese verloren? Werden alle vorbeugenden Wartungsarbeiten ausgeführt? Ist das Qualitätsniveau auf Plan? Diese Fragen können durch den Digitalen Shopfloor beantwortet werden. Das Ziel sollte lauten, den Mitarbeiter auf dem Shopfloor zu entlasten, damit er sich auf seine Hauptaufgabe in der Produktion konzentrieren kann. Die Mitarbeiterproduktivität kann etwa durch den Einsatz von mobilen Tablet-Lösungen auf dem Shopfloor gesteigert werden. Das Aufschreiben von Fehlermeldungen, Störungen oder Störungszeiten muss der Vergangenheit angehören, denn das Abwenden des Mitarbeiters von der Maschine belastet diesen und kostet bares Geld. Die Installation von Tablets im Arbeitsbereich der Werker ermöglicht das Erfassen der Meldungen wie z.B. Materialmangel oder Störungen an der Maschine durch nur einen einfachen Klick. Zusätzlich werden den Werkern die aktuellen Produktionsdaten eingeblendet. Dies führt zu einer Steigerung der Personaleffizienz auch in der Instandhaltung, wo Wartungspläne automatisch generiert und auf den Tablets angezeigt werden können. Das Instandhaltungspersonal kann sich die ausstehenden Aufträge selbstbestimmt einteilen. Werden Ersatzteile benötigt, wird die Bestellung ebenfalls über die Tablets realisiert und generiert. Dieser Vorgang der selbständigen Bestellung entlastet zusätzlich das Führungspersonal und verschafft ihm wiederum die Möglichkeit, andere Aufgaben zu erledigen. Die Datenbereitstellung für Führungskräfte wird durch eine Smartphone-Applikation realisiert, additional ist ein Webportal für den Datenabruf am Rechner eingerichtet. Die Investition in einen Digitalen Shopfloor ist eine derjenigen Digitalisierungsinvestitionen, die sich am schnellsten amortisiert und einen spürbar nachhaltigen positiven Effekt auf die Unternehmensbilanz erwirkt.

Persönlicher Datenschutz/Datensicherheit in der Produktion

Es ist eine Herausforderung für die Führungskräfte, die Digitalisierung insbesondere im Bereich des Shopfloors zu implementieren. Dabei gilt es, die Arbeitnehmervertreter mit ins Boot zu holen und sie aktiv in den Prozess einzubinden, um von Beginn an Transparenz zu schaffen. Ohne Betriebsrat geht es nicht.

Bei Beratungsprojekten – speziell bei der Umsetzung von Digitalisierungsthemen im Produktionsbereich, wo mitarbeiterspezifische Daten generiert und erfasst werden – ist die Datensicherheit immer ein großes Anliegen der Unternehmen und insbesondere des Betriebsrats. Dabei ist es wichtig, dem Kunden den gesamten Prozess offenzulegen, um Vorbehalten vorzubeugen und Abneigungen gegen den Digitalisierungsprozess gar nicht erst entstehen zu lassen. Im Rahmen des Projektes gilt es, folgende Fragen mit Ruhe und Sachverstand zu erörtern: Wie werden die Daten generiert? Wie werden die Daten übermittelt? Wie wird sichergestellt, dass die angezeigten Daten anonym bleiben? Wo werden die Daten gespeichert? Sind die Daten sicher gespeichert?

Bei der Erfassung und vor allem bei der Wiedergabe in Form einer Visualisierung auf dem Shopfloor ist die Anonymisierung der Daten unumgänglich. Das Vorgehen in der Praxis lässt sich am besten anhand eines typischen Beispiels verdeutlichen: Es soll ein Arbeitsplatz und die damit verbundene Drehmaschine erfasst werden, mit der im Dreischichtbetrieb produziert wird. Ziel ist es, die Key Performance Indicators (KPIs) Produktivität, Nutzungsgrad und OEE auf dem Shopfloor in Prozentzahlen wiederzugeben, um die KPIs und die daraus resultierenden Erkenntnisse in den Regelmeetings des Shopfloor-Managements zu besprechen und gegebenenfalls Maßnahmen zu definieren. Damit die Leistung einer Schicht an der Maschine nicht einem bestimmten Werker zugeordnet werden kann, erfolgt die visuelle Wiedergabe der Daten immer bezogen auf die letzten 24 Stunden. Diese Vorgehensweise schafft den Spagat zwischen der Anonymisierung der Mitarbeiter und dem Erhalt der Datenqualität.

Digitalisierung geht nicht ohne Cloud

Bei der Speicherung der erfassten Kundendaten führt eigentlich kein Weg an der Konzeption einer Cloud basierten Datenbank vorbei. Dabei sind folgende Gründe ausschlaggebend für die Cloud-Lösung:

■  IT-Leistungen als Service, um den Kunden auch bei kontinuierlich steigenden Sicherheitsanforderungen die höchst mögliche Datensicherheit zu gewährleisten.

■  Die Problematik eines Eingriffs in die bereits fragile IT-Landschaft der KMU und einer weiteren Strapazierung dieser durch die anfallende Datenmenge zu umgehen. Gerade im Hinblick auf Langzeitauswertungen der Produktion – etwa um einen Jahresverlauf des Nutzungsgrades zu betrachten – ist eine immense Menge an Daten nötig. Der Speicherplatzbedarf wächst mit jeden Tag, an dem produziert wird und Daten generiert werden.

■  Den Kunden muss die Bereitstellung und Verfügbarkeit der Daten zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und mit einer akzeptablen Geschwindigkeit gewährleistet werden.

■  Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung fällt sehr positiv aus. Gerade bei den KMU ist der Investitionsspielraum häufig nicht übermäßig groß, darum müssen Investitionen sehr gezielt platziert werden und die Langzeitfolgen überschaubar sein. Der Kunde bezahlt nach Bedarf bezüglich der Rechenleistung und des anfallenden Speichervolumens.

Die Traceability von Produkten wird immer wichtiger – gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Absicherung gegenüber Kunden wie OEMs. Da im Schadensfall sehr schnell hohe Summen aufkommen, ist eine intelligente und bequeme Speicherung der Produktdaten und Produktionsdaten unabdingbar.

Unser Fazit:
Insgesamt ist der Mitarbeiter das größte und wichtigste Gut eines Unternehmens. Dieses Gut gilt es insbesondere in der Zeit des digitalen Wandels zu schützen, zu stärken und zu fördern, um im Umkehrschluss Leistung fordern zu können. Dafür ist eine neue Art der Führung nötig, die das Motto: „Transparenz, Transparenz, Transparenz“ verinnerlicht hat, um den Wandel gemeinsam mit den Mitarbeitern erfolgreich zu gestalten.

Ich wünsche Ihnen bei der Umsetzung der Digitalisierungsvorhaben in Ihren Unternehmen viel Erfolg.
Harald Balzer

Seit 1997 führt Dr. Harald Balzer erfolgreich sein eigenes Unternehmen in Stuttgart. Er begleitet national und international bekannte Unternehmen in der Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen (Lean). Er hat zahlreiche Beirats- und Aufsichtsratsmandate und hält regelmäßig bei Finanzinstituten Vorträge zum Thema Operations.