Vertrieb ist stark provisionsorientiert, der Fokus auf Margen, Wachstum und betriebswirtschaftliche Kennzahlen ausgerichtet. Der Druck ist hoch. Verkaufen, verkaufen, verkaufen – so lautet das Motto. Inzwischen werden allerdings vermehrt Stimmen laut, die mehr Menschlichkeit, Werte und gegenseitigen Respekt fordern – und das nicht nur seitens des Kunden, sondern auch aus den Reihen des Vertriebs.

Vertriebsziele und Vertriebserfolg müssen neu definiert werden

Bei intensiverer Betrachtung lautet die Antwort auf die Frage, ob Vertrieb wirklich ethisch sein kann: JA – und zwar ohne Wenn und Aber. Vertrieb kann nicht nur ethisch sein, er muss es sogar. Hans Lutz Merkle, ehemaliger Vorsitzender der Geschäftsführung von Bosch, hat einmal gesagt: „Es gibt aber Dinge, die tut man einfach nicht“. Und das gilt auch für den Vertrieb. Wir alle kennen das Prinzip des „ehrbaren Kaufmanns“. Die Kaufleute im 11. und 12. Jahrhundert waren darauf angewiesen, dass man ihnen vertraut und mit ihnen Geschäfte macht – und sie nicht als Betrüger oder Lügner verdächtigt, denn dies hätte sie ihre Existenz gekostet. Um dies sicher zu stellen, wurden innerhalb der Gilde klare Normen definiert – man kontrollierte sich gegenseitig.

Auf das Vertrauen des Kunden angewiesen sind Unternehmen auch heute noch. Dass es unter anderem Mitglieder der Versicherungsbranche (z.Bsp. der „Ehrbare Versicherungskaufleute e.V.“) sind, die sich diesem Prinzip wieder zuwenden, zeigt, dass die Reputation einiger Branchen angekratzt zu sein scheint. Neben dem Unternehmertum und der Qualifikation wird hier das ethische Handeln explizit als Zielsetzung in Form der „Orientierung an den guten Sitten und des Anstandes“ erwähnt. Diese Formulierung ist zwar sehr „weich“ gewählt, dennoch wird diese Verpflichtung öffentlich bekundet.

Das jüngste Beispiel, der Abgasskandal in der Autoindustrie, lässt leider vermuten, dass einige Unternehmen heutzutage sogar gemeinsam überlegen, wie man Kontrollen umgeht und Transparenz vermeidet. Oder auf den Punkt gebracht: Wie man den Kunden am besten täuschen kann, um mehr Umsatz oder Gewinn zu erzielen. Ob die Vertriebsmitarbeiter und Verkäufer von der „Schummelsoftware“ wussten, ist nicht relevant. Es zählt die Tatsache, dass das Management interne Vorteile klar in den Vordergrund gestellt hat – und zwar bewusst auf Kosten der eigenen Kunden. Genau hier liegt die Herausforderung: Es gilt, die unternehmerischen Ziele im Vertrieb zu erreichen, möglichst profitable Geschäftsbeziehungen aufzubauen und dabei trotzdem ethische Maßstäbe zu verfolgen.

Ein Vertrieb, der sich an ethischen Grundregeln orientiert, ist nicht nur per se genauso erfolgreich, wie andere Vertriebsformen: Kunden, die das Gefühl haben, dass ein Unternehmen nach ethischen Maßstäben handelt und fair berät , binden sich vergleichsweise sogar länger an ein Unternehmen. Der Kunde honoriert ehrbares Kaufmannstum mit höheren Umsätzen, mit Loyalität und positivem Empfehlungsverhalten. Dem ehrbaren Kaufmann winken damit Gewinnmaximierung, Wachstum und Vertriebserfolg – nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Ausrichtung auf ethische Grundsätze.

Ehrbarkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen werden ausnahmslos immer von außen beigemessen. Der Maßstab dafür, wie ein Unternehmen eingeschätzt wird, ist also immer der Kunde oder der Interessent.

Wirtschaft und Ethik sind im Vertrieb untrennbar miteinander verbunden

Besonders Unternehmen, deren Unternehmenszweck hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, tatsächliche Werte zu schaffen, müssen darauf achten, welche Auswirkungen ihr Wirtschaften und die strategische Ausrichtung auf die eigenen Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden, die Umwelt und die Gesellschaft haben. Die Zahl der Menschen, die sich intensiv Gedanken um Nachhaltigkeit, Umwelt und andere Zukunftsthemen macht und dies auch bei Kaufentscheidungen berücksichtigt, wird immer größer. Das Gefühl dafür, ob man als Interessent oder Kunde respektvoll und fair behandelt wird, ist ohnehin latent vorhanden. Unternehmen kommen nicht an einer Überprüfung ihrer Organisation hinsichtlich ethischer Maßstäbe vorbei. Dies führt von Umweltaspekten über das Produktmanagement bis hin zu der Art und Weise, wie ein Verkaufsprozess oder das Gespräch mit dem Kunden gestaltet werden.

Ein Beispiel aus dem Handel: Es gibt Händler, die Produkte eines Herstellers kurzzeitig aus dem Programm nehmen, weil dieser offensichtlich dem Kunden eine Mogelpackung verkaufen wollte – beispielsweise durch ein Drittel weniger Füllmenge oder eine deutliche Veränderung der Inhaltsstoffe ohne entsprechende Preisanpassung. Der Hersteller versuchte dies mit einem neuen Verpackungsdesign zu rechtfertigen und wies darauf hin, dass die veränderte Füllmenge ja auf der Packung vermerkt sei. Dies ist ein gutes Beispiel für verantwortungsbewusstes Verhalten: Der Händler, der die Mogelpackung aus dem Handel nimmt, demonstriert Offenheit und Transparenz gegenüber dem eigenen Kunden – selbst auf die Gefahr hin, dass sich der eigene Umsatz verringert. Der Vertrieb gehört zu den kritischen Erfolgsfaktoren jedes Unternehmens und ist bestens beraten, sich intensiv mit den Maßstäben des eigenen Verhaltens auseinanderzusetzen. In der Funktion als Bindeglied zwischen Unternehmen und Interessenten bzw. Kunden. Vor dem Kauf, während des Kaufs und auch nach dem Kauf.

Ethischer Vertrieb findet besonders dann statt, wenn es sich nicht direkt auszahlt oder wenn es keiner bemerkt

Fast jedes Unternehmen nutzt in der Kommunikation Begriffe wie Kundenorientierung, Fairness, Win-Win oder das Bild vom „König Kunde“. Mitarbeiter werden geschult, um Kunden und Interessenten das gute Gefühl zu geben, willkommen zu sein und im Mittelpunkt zu stehen. Aber Freundschaft beweist sich selten im Sonnenschein. Entscheidend ist die Frage, wo die Grenzen liegen und ab wann das Eigeninteresse des Unternehmens (oder das des Verkäufers) über das Interesse des Kunden gestellt wird. Ethisches Verhalten ist einfach umzusetzen, wenn alles nach Plan läuft, die Zahlen stimmen und alle Augen auf einen gerichtet sind. Genau hier zeigt sich, wer es wirklich ernst meint, denn ethische Grundsätze nach Innen und Außen zum Maßstab zu machen ist kein Projekt oder „Nice-to-have-Faktor“. Es bedeutet Konsequenz vom Großen ins Kleine und besonders auch dann, wenn es im Hintergrund stattfindet. Auf ethischen Werten basierendes Verhalten beinhaltet an bestimmten Stellen auch, bewusst auf etwas zu verzichten, zum Beispiel auf einen Auftrag.

Damit ethisches Verhalten wirklich praktiziert werden kann, gilt es folgende Punkte zu berücksichtigen:

  1. Ethisches Verhalten ist Chefsache und entfaltet seine Wirkung nur, wenn es „top-down“ getragen und konsequent in der Unternehmensstrategie verankert wird.
  2. Ethisches Verhalten kann nur dann glaubwürdig nach Außen gelebt werden, wenn es auch im Unternehmen praktiziert wird – und zwar freiwillig.
  3. Ethisches Verhalten muss glaubwürdig sein. Konsistentes Verhalten ist unabdingbare Voraussetzung.
  4. Unternehmen können kein ethisches Verhalten leben, das können nur die Mitarbeiter. Um Menschen mit diesem Thema zu erreichen, muss Ethik alltags- und praxistauglich sein.

 

Zufriedene Mitarbeiter sind das Fundament jedes erfolgreichen Vertriebs. Wer Wert drauf legt, dass der Vertrieb auf Basis ethischer Aspekte aufbaut, benötigt Mitarbeiter, die das Gefühl haben, fair und anständig behandelt zu werden. Nur auf dieser Basis werden sie die notwendige Eigenmotivation und Leistungsbereitschaft entwickeln, derer es bedarf, um die hoch gesteckten Vertriebsziele zu erreichen. Der Schlüssel liegt oft in den internen Strukturen verborgen. Wenn Vertriebsmitarbeiter 40% ihrer Zeit damit verbringen, Gesprächsberichte oder Angebote zu schreiben und Back-Office-Arbeiten zu erledigen, dann wächst der Druck, die Ergebnisse in den übrigen 60% der Zeit zu erreichen. In der Konsequenz fehlt es dann oft an der notwendigen Aufmerksamkeit und Besonnenheit, die im professionellen Vertrieb unabdingbar sind. Ethische Grundsätze, zum Beispiel eine intensive Bedarfsermittlung und eine faire Beratung, werden dann eben dem schnellen Abschluss geopfert. Es wird genommen, was einem „vor die Flinte“ läuft. Der Verkäufer verkauft um des Verkaufens Willen.

Wenn ein Vertriebsmitarbeiter das Gefühl hat, dass dem Kunden alles nachgetragen wird, während er selbst bei seinem Vorgesetzten um jede Kleinigkeit kämpfen muss, dann wirkt sich dies nicht positiv auf die Motivation aus. Es braucht vielmehr ein faires Entlohnungssystem und eine Arbeitsorganisation, die darauf ausgerichtet ist, dass der Verkäufer möglichst viel Zeit damit verbringen kann, wofür er eingestellt wurde und was er am besten kann: gut beraten und Geschäfte machen. Geschäfte aber werden nicht zwischen Unternehmen, sondern zwischen Menschen gemacht.

Internen Strukturen, Prozesse und vor allem die interne Kommunikation müssen deshalb dahingehend überprüft werden, ob sie einen ethischen Vertrieb unterstützen oder diesem vielleicht sogar (unbewusst) im Weg stehen. Die mangelnde Umsetzung liegt meist nicht im Fehlen der entsprechende Werte, sondern in den fehlenden Antworten auf die Frage: “Was hindert uns momentan daran, entsprechend zu handeln?“ Erfahrungsgemäß bieten Strukturen, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter des Vertriebs entsprechende Gestaltungsfreiheit und Rückendeckung aus dem Top-Management haben, gute Voraussetzungen.

Ethik im Verkauf beginnt da, wo die normative Ebene verlassen und die Grauzone betreten wird

Leitlinien, Normen und Spielregeln sind die Basis des normativen Managements. Hier können ethische Maßstäbe für das Unternehmen und damit auch den Vertrieb verankert werden. Erfolgreicher Vertrieb findet aber in weiten Teilen außerhalb dieser Ebene statt. Tugenden und Kompetenzen wie Weitblick, Fleiß, Aufrichtigkeit oder Ehrlichkeit können nicht verordnet werden. Und deshalb braucht es Mitarbeiter, die diese Denk- und Verhaltensweisen bereits mitbringen oder ein Umfeld haben, das sie dabei unterstützt, sich in diese Richtung zu bewegen. Vertrauen, Mut und Selbstbewusstsein in die eigene Person sind eine wichtige Voraussetzung.

Die Bindung des Kunden besteht nicht zum Unternehmen, sondern zum Verkäufer. Dies zeigt sich immer wieder dann, wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und der Kunde „seinem Verkäufer“ folgt. Andererseits wandern Kunden ab, wenn sie mit dem Verkäufer oder dem Service unzufrieden sind – und nicht immer nur wegen des Angebotes.

In der Praxis beginnt ethischer Vertrieb genau dann, wenn Führungskräfte die Mitarbeiter nicht mehr als Mittel zum Zweck sehen, sondern als Ziel ihres Handelns. Dann kann (und darf) auch der Verkäufer den Kunden als Mensch sehen und entsprechend verantwortungsvoll handeln.

  • Vertrauen wird grundsätzlich gegeben und damit zur Verpflichtung für das Unternehmen und den Verkäufer. Ergänzend wird dies durch ein „gesundes Misstrauen“, welches die negativen Auswirkungen von „blindem Vertrauen“ minimiert. Dies gilt für Innen wie Außen.
  • Verantwortung übernehmen: Nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch in der Übernahme von Verantwortung für Dinge, die andere verschuldet haben.
  • Fairness nach Innen und Außen. Offener Umgang mit Schwächen und Problemen.
  • Transparenz und Offenheit im Team und in der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Und dem Kunden gegenüber.

 

Ethisch handelnde Verkäufer stellen sich folgende Fragen:

  1. Handele ich grundsätzlich und konsequent im Interesse meines Kunden?
  2. Denke und handele ich so, dass ich morgens selbstbewusst in den Spiegel schauen kann?
  3. Berate ich meinen Kunden offen, ehrlich und unabhängig davon, ob er am Ende auch bei mir kauft?
  4. Überprüfe ich mein Handeln regelmäßig dahingehend, ob ich noch so verkaufe, wie ich es mir vorgenommen habe?
  5. Tue ich alles dafür, mich persönlich und fachlich so weiter zu entwickeln, dass ich meinem Kunden der beste Berater/Verkäufer sein kann?
  6. Liegt mein Fokus auf nachhaltigen, langfristigen und Ressourcen schonenden Lösungen und Produkten?

Dabei dürfen Mitarbeiter keinesfalls das Gefühl haben, einen Nachteil zu erleiden, wenn sie nach ethischen Maßstäben handeln. Denn zum ethischen Vertrieb gehört es auch, ein Geschäft eben auch einmal nicht zu machen, selbst wenn es möglich wäre. Es gehört einfach dazu, dem Kunden zu sagen, dass man in diesem bestimmten Fall nicht die beste Lösung anbieten kann. Wenn es keine Alternativen gibt, dann ist der mögliche Umsatz weg, aber der Kunde kommt wieder. Tut man es nicht, ist der kurzfristige Umsatz da, der Kunde aber bei nächster Gelegenheit weg. Ökonomisch gesehen ist dieses Verhalten also kein Verlust, sondern eine Investition in die Zukunft. Ein Gewinn für den Verkäufer, das Unternehmen und den Kunden. Unter diesem Gesichtspunkt ist Werte orientiertes Verhalten im Vertrieb absolut praxis- und alltagstauglich.

Es gibt viele Gründe, seinen Vertrieb unter ethischen Gesichtspunkten aufzubauen oder neu zu strukturieren. Gerne sei an dieser Stelle der kategorische Imperativ erwähnt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Oder anders ausgedrückt: „Es gibt aber Dinge, die tut man einfach nicht“. Das Gros der Mitarbeiter fühlt sich grundsätzlich wohl mit ethischen Verhaltensweisen, da sie meist im Einklang mit ihren moralischen Vorstellungen und dem eigenen Wertsystem sind. Knackpunkt sind – wie bei vielen anderen Vorhaben auch – die konsequente Umsetzung auf Prinzipienebene und die Stärke, den tagtäglichen Versuchungen zu widerstehen.


Markus Euler ist Trainer, Coach und Vortragsredner. Seine Expertise liegt in Vertrieb, Verkauf und erstklassigem Service. Seine Kunden sind Selbstständige, mittelständische Unternehmen und internationale Konzerne. Start-Up´s, Hidden Champions und Weltmarktführer. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie richten ihren Vertrieb und den Verkauf nicht ausschließlich auf kurzfristiges, umsatz- und quartalsgetriebenes Denken aus.