Neue Materialien und Konzepte für nachhaltige Gebäudesanierung

VRAM - Dämmung

Fünf Jahre voraus: Neue Materialien und Konzepte für nachhaltige Gebäudesanierung

Der Gebäudesektor zählt zu den energieintensivsten Bereichen Europas. Rund ein Drittel aller energiebedingten CO₂-Emissionen stammt aus bestehenden Gebäuden. Viele davon sind schlecht gedämmt, technisch veraltet und bis weit über 2040 hinaus in Nutzung.

Gleichzeitig beginnt sich der Umgang mit Bestandsbauten zu verändern: Neue Materialien, digitale Planungsprozesse und integrative Sanierungsansätze könnten in den kommenden fünf Jahren den Wandel vom Sanierungsstau zur Klimainfrastruktur einleiten.

Dieser Beitrag beleuchtet die wichtigsten Entwicklungen, die den Gebäudesektor nachhaltiger, effizienter und zukunftsfähiger machen könnten, von biobasierten Dämmstoffen über modulare Sanierungssysteme bis zu Nachhaltigkeit im Sektor.

Materialinnovation: Biobasierte Dämmstoffe mit hoher Wirkung

Die Anforderungen an zukünftige Dämmstoffe sind hoch: Sie sollen ökologisch, effizient und gut in bestehende Gebäudestrukturen integrierbar sein. In den vergangenen Jahren hat die Forschung eine Reihe neuer Materialien hervorgebracht, die genau diese Anforderungen adressieren, mit dem Potenzial, die Dämmung nachhaltiger zu machen, ohne bei der Wirksamkeit Abstriche zu machen. Drei Materialgruppen stechen besonders hervor:

1. Dämmputze und High-Tech-Gemische
Innovative Wärmedämmputze werden derzeit intensiv getestet. Sie versprechen eine deutlich höhere Dämmleistung bei geringer Schichtdicke im Vergleich zu herkömmlichen Systemen. Diese Lösungen kombinieren Wärmeschutz und strukturelle Festigkeit mit platzsparender Bauweise; ein Vorteil in dicht bebauten Stadtquartieren, wo jeder Zentimeter Fassadenstärke zählt.

2. Aerogel‑Alternativen: High‑Tech trifft Nachhaltigkeit
Forscher:innen des Fraunhofer UMSICHT haben einen wegweisenden Produktionsprozess für Aerogel-Dämmstoffe entwickelt: Mit nur halb so dickem Material wie EPS bieten sie doppelte Dämmwirkung, sind mineralbasiert, ungiftig und günstiger herstellbar. Das Verfahren kommt ohne gefährliche Chemikalien aus und hat dafür den Joseph‑von‑Fraunhofer‑Preis 2023 erhalten.

3. Biodämmstoffe: Seegras als Dämmstoff
Zu den vielversprechendsten ökologischen Dämmstoffen zählen Naturmaterialien wie Seegras oder Hanf. Seegras wächst an europäischen Küsten natürlich, benötigt weder Dünger noch künstliche Bewässerung, ist vollständig kompostierbar und bindet große Mengen CO₂.

In Dänemark wurden erste Pilotprojekte bereits erfolgreich umgesetzt. Ein nächster Schritt ist die Integration in das Einblasverfahren, das eine schnelle, saubere und minimalinvasive Nachrüstung erlaubt. Das Berliner Start-up VARM arbeitet aktuell an einem Pilotprojekt dazu.

Auch Hanf gewinnt als Dämmstoff an Bedeutung: Er ist schnell nachwachsend, robust gegenüber Schädlingen und bietet gute Wärmedämmeigenschaften. Ekolution aus Schweden beschäftigt sich beispielsweise damit. Beide Materialien zeigen, dass Bio-Dämmstoffe nicht nur eine ökologische Alternative darstellen, sondern auch als skalierbare Baustoffe für die energetische Sanierung taugen.

Die reine Dämmleistung entscheidet nicht allein über die ökologische Qualität eines Baustoffs. Für die kommenden Jahre wird die Ökobilanz als Steuerungsinstrument für Innovationen im Materialbereich immer wichtiger, auch politisch.

Umsetzung 2.0: Verfahren, die neue Materialien praxistauglich machen

Innovative Dämmstoffe allein lösen noch kein Problem. Sie müssen sich auch effizient und skalierbar in die Praxis integrieren lassen. Gerade bei der energetischen Sanierung im Gebäudebestand stoßen klassische Bauprozesse jedoch schnell an ihre Grenzen: zu teuer, zu langsam, zu störanfällig. In den kommenden fünf Jahren werden deshalb neue, intelligente Verfahren den entscheidenden Unterschied machen.

1. Einblasverfahren: Schlüssel zur Skalierung
Das sogenannte Einblasverfahren hat sich als besonders vielversprechend für die Nachrüstung im Bestand erwiesen. Es ist schnell, minimalinvasiv und funktioniert ohne aufwendige Baustellenlogistik oder Gerüste.

Auch viele der neueren Dämmstoffe wie die obene genannten Areogele oder Biodämmstoffe können in Bauteile effektiv zum Dämmung einbegebracht werden. Ein großer Schritt in Richtung Skalierung nachhaltiger Materialien. Damit lassen sich selbst schwer zugängliche Hohlräume, Geschossdecken und Dächer dämmen, ohne Mieter:innen auszuquartieren oder Fassaden aufwendig zu öffnen.

2. Forschung und Normen schaffen Planungssicherheit
Lange galten Naturdämmstoffe als schwer berechenbar oder technisch unsicher. Doch Forschungsinstitutionen wie das Fraunhofer WKI belegen mittlerweile, dass biobasierte Materialien verlässlich normiert werden können, und zwar mit klar definierten Wärmeleitwerten, Brandschutzklassen und bauphysikalischen Eigenschaften.

Diese Entwicklung ist zentral, um Dämmstoffe auf Pflanzenbasis in öffentliche Ausschreibungen und regulierte Bauprozesse zu integrieren. Sie schafft Vertrauen bei Planenden, Behörden und Bauherr:innen.

Materialinnovationen entfalten ihr Potenzial nur, wenn auch die Umsetzung neu gedacht wird. Verfahren wie die Einblasdämmung und die zunehmende normierte Anerkennung biobasierter Materialien schaffen genau diesen Möglichkeitsraum. In Kombination entsteht daraus ein realistisches Szenario für die flächendeckende, nachhaltige Sanierung im Bestand – effizient, zugänglich und zukunftssicher.

Neue Geschäftsmodelle und Berufsbilder für die Bauwende

Technologische Innovationen entfalten ihre Wirkung erst, wenn sie in skalierbare Geschäftsmodelle und zukunftsfähige Berufsbilder übersetzt werden. Digitale Plattformen im Sanierungsbereich ermöglichen standardisierte Prozesse, vereinfachen den Technikeinsatz und senken die Einstiegshürden für neue Akteure, gerade im weitgehend unsanierten Ein- und Zweifamilienhausbereich.

Gleichzeitig braucht die Branche millionenfach neue Fachkräfte. Dafür sind flexible Ausbildungsmodelle, digitale Tools und modulare Lernpfade entscheidend. Nur mit integrierten Konzepten aus Umsetzung, Qualifikation und Datenkompetenz lässt sich die Sanierungsrate verdoppeln. Und das ist ein Muss für die Erreichung der EU-Klimaziele.

Nachhaltigkeit als soziale und ethische Aufgabe

Nachhaltige Sanierung bedeutet weit mehr als CO₂-Einsparung, sie muss auch gerecht, bezahlbar und verantwortungsvoll sein. Künftig werden besonders jene Konzepte überzeugen, die ökologische Wirkung mit sozialer Verträglichkeit vereinen. Das betrifft sowohl Eigentümer in strukturschwachen Regionen als auch Mieter, die vor Verdrängung durch Modernisierung geschützt werden müssen.

Gleichzeitig rückt der Materialeinsatz stärker in den Fokus: Lokale, biobasierte Rohstoffe und zirkuläre Produktdesigns setzen neue Maßstäbe für ethische Bauentscheidungen. Nachhaltige Sanierung muss deshalb auch ressourcenschonend, inklusiv und zugänglich gedacht werden.

Gebäudesanierung als strategische Infrastrukturaufgabe

Sanierung ist längst keine technische Randdisziplin mehr, sondern eine zentrale Infrastrukturaufgabe mit Auswirkungen auf Klimaschutz, Energiekosten, Ressourcennutzung und das Handwerk der Zukunft.

Der Schlüssel liegt in der Verbindung aus Innovation, Politik und Praxis: Skalierbare, bezahlbare Lösungen brauchen stabile Rahmenbedingungen, kommunale Umsetzungskraft und neue Partnerschaften zwischen Mittelstand, Forschung und Industrie.

 

Über den Autor
Christian Gruener ist Co-Gründer und Geschäftsführer des Climate Tech-Startups VARM für Hausdämmung. Bis 2030 will er mit einer skalierbaren Infrastruktur für das Handwerk eine Million Häuser in Europa dämmen und damit Fachkräften neue Perspektiven geben.

https://www.varm.earth/