Streitkultur als Innovationstreiber

Wer Konflikte im eigenen Unternehmen zulässt, hat Vorteile in der Produkt- und Geschäftsentwicklung

Das Wort Konflikt ist negativ besetzt. Niemand hat gern Konflikte. Dabei sind Konflikte normal, dem Geschäftsleben immanent. Sie gehören dazu. Wo immer es widerstreitende Meinungen und Ziele gibt, gibt es auch Konflikte. Hendrik Habermann, einer von zwei Geschäftsführern der Habermann-Gruppe, fordert einen Paradigmenwechsel. Für ihn sind Konflikte etwas Gutes, etwas, aus dem Innovationen und Lösungen erwachsen. Im Gegensatz zum Konflikt, den Habermann als Zustand oder Status beschreibt, ist Streit der Umgang mit Konflikten, also das Verhalten der Konfliktbeteiligten. An ihrer Streitkultur liegt es, ob aus dem Konflikt am Ende etwas Positives erwächst. Streiten, so Habermann, will deswegen gelernt und als Wettstreit um die besten Ideen ausgetragen sein.

Streit gilt vielen als Stressfaktor und als Risiko in Unternehmen, ist eher das Sinnbild für eine gestörte Zusammenarbeit im Team und ein Synonym für ein schlechtes Betriebsklima. Dass es auch anders geht, beweist Hendrik Habermann in seiner Habermann-Gruppe, in der mehrere Unternehmen zusammengeschlossen sind, die sich mit den Themen Werbemittel, hochwertige Tragetaschen und Verpackungen, Werbung und Marketing beschäftigen. Die Unternehmen der Habermann-Gruppe gelten in vielen Bereichen als Pioniere rund um die Themen haptisches und multisensuales Verkaufen sowie kreatives Verpacken und Verschenken. Innovationen und neue Produkte, mutige Ideen und quergedachte Konzepte sind die Basis des Erfolgs – und genau diese generiert das rund 25-köpfige Team oft aus Streit.

„Wir haben in der Gesellschaft leider verlernt, richtig zu streiten“, sagt Hendrik Habermann. Der andere Geschäftsführer der Habermann-Gruppe ist Hartwig Habermann, sein Bruder. Und wie das bei Brüdern so ist – nicht alles ist immer konfliktfrei. Unterschiedliche Meinungen und Ideen werden nicht immer ohne Reibungen ausgetragen. Doch statt damit die Unternehmen zu lähmen, machen die beiden Brüder ihren Meinungs- und Ideenstreit zum Erfolgskonzept. „Wir ringen immer um die Sache, lassen Persönliches komplett außen vor“, sagen sie. Und genau das verlangen sie auch von ihren Mitarbeitern. Sie suchen nach Querdenkern, nach Menschen, die widersprechen, sich gerne an Kollegen und der Führung reiben, ohne dabei gleich verletzt zu sein oder Keile zu treiben. „Das ist nicht einfach. Es gibt keine Streitkultur mehr. Streiten ist aus der Mode, auch wegen des oft anonymen und schnell rau werdenden Umgangs in den Social Media“, so Habermanns Erkenntnis. Hendrik Habermann postet selbst viel in den sozialen Netzwerken, ist als Dozent an der Fachhochschule Düsseldorf tätig und hält viele öffentliche Vorträge. Um der Streitkultur wieder einen Weg zu ebnen, hat er den Hashtag „#lasstunsstreiten“ etabliert, kommentiert mit diesem auf Facebook und Co. und gibt selbst viele Anlässe für kontroverse Diskussionen. Er gilt als Business-Rebell und stellt viele tradierte Management- und Führungsweisheiten in Frage.

Er tut damit auch öffentlich das, was ihn in seinem Unternehmen erfolgreich macht. Im Streit, in der Auseinandersetzung, liegt für ihn das wertvollste Potenzial um die besten Ideen. Wer nicht streitet, wie gesagt immer um die Sache und das beste Ergebnis, verschenkt Ressourcen – intellektuell, monetär und auf der Prozessebene. Wer eine gute Idee hat, darf sich nicht mit einfachen Einwänden abspeisen lassen, sondern muss für seine Idee kämpfen. Durch den Konflikt wird die Idee besser und reift – bis zu einem Produkt oder einem neuen Prozess, der am Ende alle voranbringt. „Schweigen birgt keine kreative Kraft“, ist Hendrik Habermann überzeugt.

Freilich fordert eine solche Streitkultur in einem Unternehmen auch eine sehr offene und konfrontative Art der Führung. Weder ein Kuschelkurs noch eine patriarchische Art sind der geeignete Nährboden für eine Innovationskultur, die auf einen Wettbewerb der Ideen wert legt. Schließlich muss man sich als Chef auch hinterfragen und herausfordern lassen, muss selbst Vorbild sein für eine positive und integrative Streitkultur. Und man muss die eigenen Mitarbeiter ermutigen und befähigen, kreative Ideen nicht nur zu entwickeln, sondern sie auch der Auseinandersetzung im Team zu stellen. Fortbildungen nicht nur rein fachlich, sondern auch rund um die Themen Moderation, Argumentation, Präsentation, Rhetorik und Persönlichkeitsentwicklung sind notwendig, damit alle mithalten und sich ausprobieren können. Auch Fehler müssen erlaubt sein. „Man muss auch falsch liegen dürfen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Streiten bedeutet immer auch Toleranz“, sagt Habermann. Und streiten bedeute nicht, Recht zu haben um jeden Preis. Wer die besseren Argumente hat, seine Vorschläge argumentativ unterfüttern und einem Praxistest unterziehen kann, gewinnt im Wettbewerb der unterschiedlichen Meinungen – nicht der Lauteste, nicht der Mächtigste, sondern derjenige, der frei ist in seinen Gedanken und sich ausprobieren kann. Streitkultur bedeutet immer auch eine Kultur der Freiheit, der persönlichen und der intellektuellen Befreiung ohne große Denkblockaden, die eben leider sehr oft durch eine allzu konfliktvermeidende Führung verhindert wird.

Selbständiges Denken und Arbeiten wird in der Habermann-Gruppe groß geschrieben. „Befehlsempfänger können wir nicht brauchen“, so das Motto, das auch als Credo in der Kommunikation mit Kunden und Lieferanten gelebt wird. Denn, wer sich intern mit seiner Position hat durchsetzen müssen, ist auch argumentativ stärker in der Diskussion nach außen. Sämtliche Argumente und Gegenargumente, sämtliche Ein- und Vorwände gab es schon intern. Nur selten kommt von Externen, also von Kunden oder Lieferanten, etwas Neues. Und wenn, dann ist auch das eine Bereicherung für den Denk- und Entwicklungsprozess. „Wachsen kann man nur an Kritik“, so Habermann, der in seiner etablierten Streitkultur auch eine Stärkung des Marketings und des Vertriebs sieht. Was sich intern bewähren musste, bewährt sich auch extern. Produkte, die es intern geschafft haben, von den Kollegen anerkannt zu werden, sind dann auch marktreif. Voraussetzung: Die eigenen Kollegen haben ihre Augen und Ohren auf dem Markt und leiten von dieser Marktkenntnis neue Erkenntnisse ab, die sie dann intern zur Diskussion stellen.

Es ist diese Führungskultur der Ermutigung und Befähigung, das sich selbst und alles um einen herum immer wieder in Frage stellen, was Innovationen beschleunigt und Verkaufserfolge möglich macht. Es geht darum, Menschen groß zu machen, statt sie klein zu halten. Wer sich bewähren kann und darf, der bringt auch sein gesamtes Potenzial ein. Aber: Man muss auch wissen, wann es genug ist. Einmal getroffene Entscheidungen sind zu akzeptieren, Diskussionen sind wertvoll, aber irgendwann auch zu Ende. Dann folgt das nächste Thema. Auch das ist etwas, was es zu lernen und zu etablieren gilt. Streiten will eben gelernt sein. Eine Erkenntnis, die sich die Habermann-Gruppe auch von der Schule, den Hochschulen und in Berufsausbildungen wieder zunehmend erhofft. Denn wer nicht streiten kann, verhindert Innovationen. Und das schadet am Ende allen, auch dem Standort Deutschland.


Hendrik Habermann ist Vordenker und Business-Rebell. Fast alles, was bisher als unumstößliche Wahrheit in Lehrbüchern stand, was Referenten und Dozenten wohlfeil seit Jahren wiederholen und was Millionen Unternehmern als unumstößliche Wahrheit galt, stellt Hendrik Habermann in Frage. Seine Thesen sind provokant.